I-8 | Rachel Rosenbluth: „Ich rufe die Männer auf, weniger zu reden und mehr zu hören“
Ein Interview von Alexander Görlach
08|03|2021
"Ich rufe die Männer auf, weniger zu reden und mehr zu hören"
Rachel Rosenbluth
Rachel Rosenbluth ist eine der ersten jüdischen Frauen, die als Rabbinerin ordiniert worden sind. Lesen Sie, warum Sie sich als Brückenbauerin versteht und wie sie der Einladung folgte, einem zehntägigen Sufi-Pilgerfest in Indien teilzunehmen.
Görlach: Als Frau ordiniert zu werden, ist leider nicht in jeder Religion eine Selbstverständlichkeit. Wie lässt sich, Ihrer Meinung nach, die Gleichstellung von Frau und Mann im Bereich der Religion ändern?
Rosenbluth: Die Ordination ist auch im Judentum eher selten, vor allem in der orthodoxen Konfession. Von einem traditionellen Rabbinerprogramm ordiniert zu werden, fühlt sich an wie ein kleiner Teil in einer größeren und langsamen Verschiebung hin zu Inklusivität und Gleichberechtigung. Die meisten Religionen werden seit Tausenden von Jahren von patriarchalischen Dynamiken dominiert und ich applaudiere Frauen aller Glaubensrichtungen, die große Schritte in Macht- und Führungspositionen machen. Mein Rat ist, dass Frauen weiterhin Risiken eingehen, um die Führungsposition bitten, die sie sich wünschen, und Gemeinschaften aufbauen, die auf ihren Werten basieren. Obwohl sich viele Türen schließen werden, bevor sich eine öffnen kann, sind Geduld und Haltung die Schlüssel, um in Angesicht der Ausgrenzung, unsere Integrität zu bewahren.
Ich rufe Männer auf, Frauen zu vertrauen, sie in ihrer Integrität zu stärken und mehr Möglichkeiten für Frauen zu schaffen, um zu lernen und um in religiöse Erfahrungen einbezogen zu werden. Ich rufe Männer auf, mehr Räume für Frauen zu schaffen, in denen sie beten können, und mehr Gelegenheiten für Frauen, um zu lernen, und Frauen dabei zu unterstützen, mehr Eigenverantwortung übernehmen zu können. Ich rufe die Männer auf, weniger zu reden und mehr zu hören auf die Erfahrungen der Frauen in ihren Gemeinschaften, auf den Schmerz und die Träume der Mädchen und Frauen. Und ich rufe Frauen dazu auf, ihren Glauben nicht aufzugeben, nur weil es so lange so viel Ausgrenzung und Schmerz im Namen der Religion gegeben hat. Stattdessen rufe ich die Frauen auf, sich zu mobilisieren und ihren Glauben als Kraft für das Gute in der Welt zurückzufordern und sich als Teilhaberinnen von Traditionen zu fühlen, die so viele Jahre lang von Männern beherrscht wurden. Es ist an der Zeit, dass unsere Stimmen laut werden, dass sie gehört werden, und dass wir unseren Glauben zum Wohle der Welt erheben.
Um die Einladung der Aktivistin und Schriftstellerin Rebecca Solnit zu teilen: Es ist Zeit für eine Hoffnung, die zum Handeln auffordert. Es ist bereits eine enorme Dynamik im Gange, die Transformation findet statt.
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„Das Reisen ist ein Geschenk, um die Vielfalt und die Schönheit des Lebens zu erfahren. Es macht bescheiden und lehrt mich, zu verstehen, wie ähnlich sich die Menschen über Kulturen, Regionen und Religionen hinweg sind.”
Rachel Rosenbluth
Görlach: Auf Ihrer Website bezeichnen Sie sich als Rabbinerin, Reisende, Künstlerin und Brückenbauerin. Was trägt das Reisen zu Ihrer Arbeit und Ihrer Wahrnehmung der Welt bei?
Rosenbluth: Das Reisen ist ein Fenster zur Welt. Es gibt mir das Geschenk, anderen Kulturen zu begegnen, Freundschaften über politische und geografische Grenzen hinweg zu entwickeln, Einblicke in die Lebensweise der Menschen zu gewinnen und einen Blick auf die Schönheit der Natur zu werfen. Die jüdischen mystischen Weisen sagen dazu „ta chazei“, eine Einladung, „zu kommen und zu sehen“, aus der Welt des Denkens herauszutreten und in die Welt der Erfahrung einzutreten. Das Reisen ist ein Geschenk, um die Vielfalt und die Schönheit des Lebens zu erfahren. Es macht bescheiden und lehrt mich, zu verstehen, wie ähnlich sich die Menschen über Kulturen, Regionen und Religionen hinweg sind. In meiner Arbeit als religiöse Friedensstifterin hat es mich gelehrt, wie viel gemeinsame Menschlichkeit die Menschen haben, und wie groß – wenn wir die Chance haben, uns hinzusetzen, miteinander Chai zu trinken und kennenzulernen; selbst wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen – die gemeinsame Basis ist, um Freundschaft, Gegenseitigkeit und Liebe zu erleben.
Görlach: In Zeiten von Corona wurde offensichtlich nicht viel gereist. Was entgeht uns, wenn uns die Möglichkeit genommen wird, neue Menschen zu treffen?
Rosenbluth: Wir verpassen zwar die Möglichkeit, zu reisen und neue Teile der Welt zu sehen und mit neuen Menschen in Kontakt zu treten, aber Corona hat uns die Chance gegeben, langsamer zu werden und präsenter mit unseren eigenen Familien und Gemeinschaften zu sein. Die sozialen Medien haben uns auch geholfen, mit Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt in Kontakt zu bleiben und die Verbindung aufrechtzuerhalten. Ich freue mich schon auf die nächste Gelegenheit, Gastgeberin zu sein oder Gastgeberin zu werden.
Görlach: Apropos Brücke: Wen wollen Sie verbinden und worüber soll die Brücke gehen?
Rosenbluth: Ich hoffe, Menschen zu verbinden, die normalerweise keine Chance hätten, sich zu treffen; oder noch mehr solche, die aus politischer Sicht vielleicht als Feinde betrachtet werden. Ich finde es bewegend, zu sehen, wie Begegnung allein auf der Basis gemeinsamer Werte Menschen verbinden kann, trotz der Politik, Mauern, Traumata, Ängste und Erzählungen, die die Menschen oft trennen. Das ist es also, worüber die Brücke führt: Angst, Misstrauen, Hass, Andersartigkeit und die physischen und emotionalen Mauern zwischen den Völkern. Das persönlichste Beispiel in meiner Arbeit ist die Verbindung von Israelis und Palästinensern – doch das gilt auch für Menschen auf verschiedenen Seiten des politischen Spektrums. Es inspiriert mich auch, Menschen mit unterschiedlichem Glauben zu verbinden, sodass Religion zu einer Kraft der Einigung und Zusammenarbeit wird, anstatt zu spalten.
„Ihre feurige Erfahrung hatte eine Auswirkung auf meine eigene Verbindung mit Gott; eine Erinnerung daran, dass wir alle unser Leben dem Dienst widmen, auch wenn mein Weg jüdisch ist und der ihre der Islam.”
Rachel Rosenbluth
Görlach: Der interreligiöse Dialog zielt auch darauf ab, eine Brücke zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen zu bauen: Haben Sie in letzter Zeit viele Fortschritte in diesem Bereich gesehen?
Rosenbluth: Auf jeden Fall. Von der Arbeit von Religions for Peace über neue Initiativen zwischen abrahamitischen Glaubensrichtungen wie das 1000 Abrahamic Circles Project
und etablierte Initiativen wie Abrahamic Reunion bis hin zu meinen eigenen persönlichen Erfahrungen als Gast in Gemeinschaften verschiedener Kulturen – ich spüre ein Wachstum in diesem Bereich. Wenn Menschen einer kraftvollen, konstruktiven Arbeit ausgesetzt sind, ist das inspirierend. Die Menschen sind durstig nach hoffnungsvollen, konstruktiven Initiativen, und die Bewegung des sozialen Wandels gewinnt gerade jetzt immer mehr an Schwung. Der interreligiöse Dialog spielt dabei eine Rolle. Ich empfehle den Menschen, sich das Revolutionary Love Project der Sikh-Aktivistin Valarie Kaur anzuschauen, eine Initiative, die in dieser Zeit der sozialen Unruhen in den USA Liebe, Frieden und Gerechtigkeit fördert.
Görlach: Sie haben sich mit vielen verschiedenen spirituellen Traditionen auseinandergesetzt. Gibt es eine besondere Erfahrung, die Sie über diese Reise teilen möchten?
Rosenbluth: Ich wurde eingeladen, am Urs-Festival teilzunehmen, einem 10-tägigen Sufi-Pilgerfest in Ajmer, Rajasthan, Indien, bei dem man die ganze Nacht aufbleibt. Eine junge jüdische, israelische Frau zu sein, die mit offenen Armen vom Oberhaupt des Sufi-Ordens empfangen wurde, um an einem ekstatischen, hingebungsvollen, mystischen Islam teilzunehmen, war eine unglaubliche Gelegenheit. Ich wurde sehr ehrenvoll bewirtet und teilte mir ein Zimmer mit wunderbaren Frauen aus dem Iran. Sie luden mich in die hingebungsvolle Poesie und mystische Welt der Dargah ein. Ihre feurige Erfahrung hatte eine Auswirkung auf meine eigene Verbindung mit Gott; eine Erinnerung daran, dass wir alle unser Leben dem Dienst widmen, auch wenn mein Weg jüdisch ist und der ihre der Islam. Die Verwandtschaft, die sich zwischen den Frauen in der Hingabe entwickelte, und die Liebe, die aus dem Chaos der Erfahrung hervorging, waren wirklich kostbar.
Rachel Rosenbluth
Short Biography
Rabbinerin Bluth ist eine junge Rabbinerin und Unternehmerin, die 2019 vom Beit midrash Har-El in Jerusalem ordiniert wurde. Ihre Ordination begann mit kulturell eindringenden Reisen zu Andachtsgemeinschaften auf der ganzen Welt. Bluth ist eine leitende Mitarbeiterin bei Living Jewishly und produziert die Soul Brew Morgenshow mit der Beth Tzedec Congregation in Toronto. Sie ist ein aktives Mitglied von Religions for Peace und gehört einer ständigen Kommission an.
Sie finden Rosenbluth im Internet unter: www.rbluth.com / Insta: @blu.th
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Margot Käßmann has retired from many offices. Her engagement with Ring for Peace is an exception. Alexander Görlach talks with the former regional bishop about peace, women, fundamentalism and why the assembly in Lindau can make a difference.
Margrit Wettstein works for the Nobel Prize Museum in Stockholm. Only few people know better than her, which women ever received the Nobel Prize and which fates are behind these women. Alexander Görlach asked Margrit Wettstein to tell us, who she thinks are the most important award winners.
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The ecumenical unity of the churches depends in particular on the question of the extent to which women and men are equal, explains former Bishop Gunnar Stålsett. Stålsett believes that for women in the Orthodox Church to have more rights, a religious leader is needed who is willing to risk his own future for the future of the Church.
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Rachel Rosenbluth is one of the first Jewish women to be ordained as a rabbi by an orthodox institution in Israel. Read why she sees herself as a bridge builder and how she accepted the invitation to participate in a ten-day Sufi pilgrimage festival in India.
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